Beispiel für ein Historikerurteil zum Ausbruch des 1. Weltkriegs
Musterbeispiel zur Erschließung
1. Äußere Informationen nutzen
Der Historiker Fritz Fischer schreibt 1961 in seinem Buch über die Frage, wer die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trägt. Der Autor informiert im vorliegenden Text über die persönlichen Anteile des Kaisers und des Reichskanzlers.
2. Inhalte erfassen
Der Text lässt sich in zwei Abschnitte einteilen. Zunächst (Z. 1-6) schreibt Fischer, dass Kaiser Wilhelm II. alle Beteiligten zu einer Eskalation des Konflikts gedrängt habe. Dies sei jedoch bereits hinreichend bekannt (Z. 6). Zentral ist für Fischer jedoch die neue Erkenntnis (Z. 6-16), dass in erster Linie der verantwortliche Reichskanzler v. Bethmann Hollweg zu einer Eskalation gedrängt habe, was mit Tagebucheinträgen seines engen Mitarbeiters Kurt Riezlers zu belegen sei.
3. Das Material einordnen
Der Autor nimmt mit seinem Text zur Schuldfrage Stellung, die sich zwar auf die Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg (Juli 1914) bezieht, jedoch nach dem Ende des Krieges besonders bedeutend wurde, da in Artikel 231 des Friedensvertrags von Versailles (1919) Deutschland die alleinige Schuld am Kriegsausbruch zugewiesen wurde. Der Verfasser widerspricht der gängigen Sicht, dass Deutschland von Österreich in eine Auseinandersetzung hineingezogen worden und aufgrund der Bündnisverpflichtungen gleichsam gegen den eigenen Willen in einen Krieg hineingeschlittert sei. Dies begründet er mit einem Hinweis auf längst bekannte Quellen, die eine Mitschuld des Kaisers begründeten. Außerdem sei aufgrund der von ihm ausgewerteten Tagebucheinträge Kurt Riezlers die Hauptschuld des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg ersichtlich.
4. Das Material deuten
Der vom Verfasser geäußerten Meinung kann man zustimmen, weil sie durch Quellen eindeutig belegt wird. Die von ihm gewählten Quellen sind zeitnah zur historischen Situation entstanden und der Verfasser der Quellen hatte persönlichen Zugang zu den Entscheidungsträgern seiner Zeit. Die von der deutschen Bevölkerung nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geäußerte Behauptung, man sei am Ausbruch des Krieges gänzlich unschuldig, muss somit relativiert werden, da sie sich durch die Quellen klar widerlegen lässt.